Vieles, was in unserem Langzeitgedächtnis verankert ist, bleibt auch in späten Lebensjahren und selbst bei fortgeschrittener Demenz erhalten. Selbst wenn das Kurzzeitgedächtnis schon Streiche spielt und neue Informationen nur noch schwer gespeichert werden können, sind es oft sehr lebendige Erinnerungen an die Kindheit oder Jugend, die noch bestehen. Um diese frühen Erinnerungen anzustoßen, ist Musik ein so einfaches wie mächtiges Mittel. Hört man ein Lied, was man als Kind oft gesungen hat, so tauchen beim erneuten Hören dieses Liedes unweigerlich Erinnerungen an Bilder, Gerüche oder Gefühle aus der Kindheit auf.
Dazu besitzt Musik noch eine Kraft, die logisch kaum zu erklären ist. Sie beruhigt uns, hebt die Stimmung, lässt uns im Takt wippen und erinnert uns an vergangene Momente. Auch Menschen, die bereits versunken sind in ihrer eigenen Welt und nur noch wenig auf äußere Einflüsse reagieren, sind durch Musik oft wieder im Hier und Jetzt.
Wenn die Sprache geht, bleiben die Lieder
Auch das eigene Musizieren bringt sehr viel mehr mit sich, als das eigentliche Handwerk. Automatismen werden angesprochen, und war eine demeziell veränderte Person früher musikalisch aktiv, ist es sehr gut möglich, dass das Spielen der Gitarre, der Geige oder des Klaviers immer noch funktioniert, auch wenn anderes Wissen wie das richtige Zähneputzen oder Anziehen schon verloren zu sein scheinen. Am Beispiel einer an Demenz erkrankten Schweizers ist das in einem Video der Universität Luzern schön zu beobachten: Ein früher passionierter Geigenspieler, der seit einigen Jahren dement ist, blüht in der Luzerner Musikgruppe Promusicante wieder auf, und die Freude am Spielen und an der Musik steht ihm ins Gesicht geschrieben.
Melodien gegen das Vergessen
Aber auch für diejenigen, die kein Instrument spielen konnten, bietet Musik ein enormes Potential. Die Lieder der Lieblingsgruppe, Evergreens von früher aus dem Radio oder gar Kinderlieder vom Schulhof, sie schaffen Vertrauen und Geborgenheit, und bringen uns zurück an Orte der Vergangenheit. Melodien verlassen uns nicht mehr, haben wir sie einmal ins Herz geschlossen, und auch wenn man selbst nicht auf sie kommen würde, reichen schon wenige Takte, um uns an sie und die Stimmung, die wir mit ihnen verknüpfen, zu erinnern.
Die Dokumentation “Alive inside” begleitet den Sozialarbeiter Dan Cohen auf einer Reise durch US-amerikanische Pflegeeinrichtungen und porträtiert die Reaktionen der Demenzpatientinnen- und Patienten, rührende Bilder von alten Menschen mit Kopfhörern, deren Augen plötzlich wieder strahlen und sie mit wachem Blick Kontakt aufnehmen. Die Arbeit mit Musik ist dennoch nicht selbstverständlich, in den USA genauso wie in Deutschland, dabei könnte Musik als regelmäßige Stimulans sogar den Einsatz von Medikamenten ersetzen, so Dieter Gerstner, Gründer des Runden Tisches Demenz.
Mittel dazu braucht es eigentlich nicht viele, Kopfhörer und Schallplatten oder CD-Spieler, Musikinstrumente für die Musikalischen unter dem Bewohnerinnen und Bewohnern. Im Pflegealltag kommt das Thema Musik aber dennoch oft zu kurz. Um die Pflegenden in der Vorbereitung eines musikalischen Nachmittags zu entlasten, gibt es auf den Tablets von Media4Care eine große Liedersammlung. Die Videos können mit oder ohne eingeblendeten Text abgespielt werden, und so ein gemeinsames Singen in großer oder kleiner Runde ermöglicht wird. Dass das für eine tolle Stimmung sorgt, ist unbestritten, und eines ist ganz klar: Von Musik gibt es selten zu viel, aber fast immer zu wenig.